Islamische Theologie: Islamische Textwissenschaften und ihre Hermeneutik
"Islamische Textwissenschaften und ihre Hermeneutik" bildet eine essenzielle Kernkomponente der islamischen Theologie und spiegelt eine reiche und komplexe Geistesgeschichte wider. Der Fokus liegt auf den zeitlichen und räumlichen Transformationen dieser Disziplinen, wobei gleichzeitig ihre konstituierenden Prinzipien kritisch hinterfragt werden. Besonderes Augenmerk gilt der Primärquellenforschung sowie der Entstehung und Exegese schriftlicher Quellen. Diese Herangehensweise fördert eine multiperspektivische und tiefgehende Auseinandersetzung mit den zentralen Primärquellen des Islams, namentlich dem Koran und den Hadithen.
Während der Koran und die Hadithe die primären Quellen der islamischen Theologie darstellen, sind auch die Prophetenbiografie (sīra) und die Geschichte der vorislamischen Arabischen Halbinsel unverzichtbare Bestandteile bei der Interpretation dieser Texte. Diese ergänzenden Disziplinen liefern wichtige kontextuelle Informationen und historische Hintergründe, die für eine präzise und umfassende Auslegung der islamischen Primärquellen von entscheidender Bedeutung sind. Die forschungsleitende Methodologie in der systematischen Theologie und Exegese wird maßgeblich durch diese multiperspektivische Analyse geprägt. Die Textwissenschaften des Korans und der Hadithe umfassen curricular die zentralen Arbeitsbereiche der Koranforschung – insbesondere die Genese, Hermeneutik und Exegese des Korans – sowie die Hadithwissenschaften, die vorislamische Arabische Halbinsel und die Prophetenbiografie.
"Islamische Textwissenschaften und ihre Hermeneutik" fungiert als ein übergeordneter Forschungsbereich, der eine Vielzahl von Teilprojekten, Qualifizierungsschriften sowie die Forschungsarbeiten der Institutsmitglieder umfasst. Geleitet wird dieser Forschungsbereich von Ass.-Prof. Dr. Tuğrul Kurt. In diesem Bereich werden die unterschiedlichen wissenschaftlichen Bemühungen und Arbeiten, die sich mit der kritischen Analyse und Interpretation der islamischen Primärquellen – insbesondere des Korans und der Hadithe – auseinandersetzen, zusammengeführt und strukturiert. Die Einordnung dieser vielfältigen Projekte, Forschungsinteressen und theologischen Schwerpunkten unter den Oberbegriff der "Islamische Textwissenschaften und ihre Hermeneutik" ermöglicht eine systematische und kohärente Verortung innerhalb der islamisch-theologischen Textwissenschaften, wobei die spezifischen methodischen Ansätze und inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Arbeiten berücksichtigt und weiterentwickelt werden. Durch diese integrative Kategorisierung wird der umfassende Forschungsansatz der Universität Wien im Bereich der islamischen Theologie sichtbar, der sowohl die historische Tiefe als auch die methodische Vielfalt der Disziplinen reflektiert.
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Koran und Exegese (ʿulūm al-Qurʾān und Tafsīr)
Die theologische Beschäftigung im Bereich Koran und Exegese (ʿulūm al-Qurʾān und Tafsīr) ist ein zentraler Bestandteil der islamischen Textwissenschaften und ihrer Hermeneutik. Dieser Bereich widmet sich der umfassenden Analyse der Entstehung, Überlieferung und Kanonisierung des Korans. Die wissenschaftliche Untersuchung konzentriert sich auf die Genese des Textes sowie auf die mündlichen und schriftlichen Überlieferungstraditionen, die ihn geprägt haben. Ein besonderer Fokus liegt auf der historischen Kontextualisierung der frühen islamischen Zeit, die es ermöglicht, den Koran im Licht historisch-kritischer und textwissenschaftlicher Methoden zu analysieren. Darüber hinaus wird die Koranwissenschaft durch eine systematische Erforschung der Struktur, Inhalte und stilistischen Merkmale des Korans charakterisiert. Der Koran wird als literarisches und sprachliches Werk betrachtet, dessen komplexe Bedeutungsstrukturen und rhetorische Techniken im Zentrum der wissenschaftlichen Analyse stehen. Die Koranwissenschaft strebt danach, die innere Kohärenz des Textes, seine thematischen Entwicklungen und seine linguistischen Besonderheiten zu erforschen.
Dabei wird auch die Bedeutung der sprachlichen und literarischen Traditionen der vorislamischen Arabischen Halbinsel untersucht, um die stilistische und rhetorische Besonderheit des Korans in ihrem vollen Umfang zu verstehen. Ein integraler Bestandteil der Koranforschung ist die Handschriftenforschung, die sich mit der kritischen Analyse von Koranmanuskripten befasst. Diese Forschungsrichtung ermöglicht es, die Überlieferungsgeschichte des Textes präzise nachzuvollziehen und die verschiedenen Stadien der Kanonisierung des Korans zu untersuchen. Die Textkritik, unterstützt durch die Untersuchung von Manuskripten, ist unerlässlich für das Verständnis der textlichen Variationen und für die Authentifizierung der koranischen Überlieferung.
Die detaillierte Analyse der Koranforschung schafft die Grundlage für den Übergang zur Koranexegese (tafsīr), die sich der systematischen Interpretation des Korans widmet. Die historische Entwicklung der Exegese, die von den frühesten Interpretationen bis hin zu modernen Ansätzen reicht, wird intensiv erforscht, um die Vielfalt der tafsīr-Tradition und ihren Einfluss auf die islamische Theologie zu beleuchten. Besondere Aufmerksamkeit wird den vielfältigen hermeneutischen Prinzipien gewidmet, die die Auslegung des Korans leiten. Diese Prinzipien reichen von traditionellen methodologischen Ansätzen bis hin zu modernen hermeneutischen Theorien, die das Verhältnis zwischen Text, Kontext und Interpretation untersuchen.
Ein weiterer vertiefender Fokus liegt auf dem Makroumfeld des Korans und den isrāʾīliyyāt-Überlieferungen, das eine umfassende Analyse der kulturellen, religiösen und sozialen Kontexte beinhaltet, in denen der Koran entstanden ist. Koranexeget*innen nutzen die isrāʾīliyyāt-Überlieferungen, um bestimmte koranische Passagen zu erläutern und zu interpretieren, wobei sie auf das reiche Erbe der jüdischen und christlichen Quellen zurückgreifen. Diese Praxis spiegelt die enge Verknüpfung und den wechselseitigen Einfluss zwischen den religiösen Traditionen wider, der in der islamischen Gelehrsamkeit über Jahrhunderte hinweg gepflegt wurde. Die Erforschung dieser Inter- und Umwelttexte ermöglicht es, den Koran nicht nur als isoliertes religiöses Dokument zu betrachten, sondern als ein Text, der in einem dichten Netz religiöser und kultureller Einflüsse verwoben ist. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den christlichen und jüdischen Studien sowie den Religionswissenschaften an der Universität Wien fördert diese umfassende Analyse und trägt dazu bei, ein tieferes Verständnis der koranischen Botschaft und ihrer Einbettung in das kulturelle und religiöse Umfeld der Spätantike zu entwickeln.
Eine weiterer theologischer Aspekt der Koranforschung sind die Genderstudies, in denen die Rolle des Korans in Bezug auf Geschlecht, Feminismus und Gendergerechtigkeit untersucht wird. Dabei werden sowohl traditionelle als auch moderne, feministisch inspirierte Interpretationsansätze analysiert, um ein tieferes Verständnis der Geschlechterrollen und -beziehungen, wie sie im Koran dargestellt werden, zu gewinnen. Zu diesem Ansatz gehört auch die Untersuchung von Diversität und Pluralität im Kontext des Korans. Der Fokus liegt darauf, zu verstehen, wie der Koran den Umgang mit verschiedenen religiösen, ethnischen und kulturellen Gruppen thematisiert und welche Lehren daraus für den interreligiösen Dialog und das Zusammenleben in pluralistischen Gesellschaften gezogen werden können. Ziel ist es, die Prinzipien von Diversität und Pluralität im Licht der koranischen Offenbarung zu analysieren und ihren Beitrag zur Förderung eines harmonischen und respektvollen Zusammenlebens in multikulturellen Gesellschaften zu untersuchen.
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Hadithwissenschaften (ʿulūm al-ḥadīṯ)
Die Hadithwissenschaften (ʿulūm al-ḥadīṯ) stellen eine zentrale Disziplin der islamischen Geisteswissenschaften dar und widmen sich der Sammlung, Authentifizierung und systematischen Interpretation der überlieferten Aussagen, Handlungen und Eigenschaften des Propheten Muḥammad. Diese Hadithe bilden neben dem Koran die wichtigste textuelle Grundlage für die islamische Lebensführung und Glaubenspraxis und sind essenziell für das Verständnis der prophetischen Tradition (Sunna), welche eine entscheidende Rolle für die normativen und ethischen Grundlagen des Islams spielt.
Besonderes Augenmerk liegt auf der theologischen Untersuchung der Hadithüberlieferungen. Hier wird der Hadith als Glaubenszeugnis und als Quelle der prophetischen Verkündigung im Islam betrachtet. Dieser theologische Ansatz hebt sich von einer rein historischen Herangehensweise ab, indem die Überlieferungsgeschichte des Hadiths im Licht seiner religiösen Bedeutung interpretiert wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Hadithwissenschaften ist die Auseinandersetzung mit der Historizität und der zeitgemäßen Interpretation der prophetischen Überlieferungen. Während die klassische Hadithwissenschaft sich auf die Sicherung der Authentizität konzentrierte, widmet sich die moderne Forschung verstärkt der Frage, wie diese Überlieferungen im heutigen Kontext interpretiert und angewendet werden können. Hierbei spielen sowohl historische Kritik als auch hermeneutische Ansätze eine Rolle, die darauf abzielen, die Relevanz der Hadithliteratur für gegenwärtige ethische und rechtliche Diskurse zu erörtern.
Die Hadithwissenschaften sind eng mit anderen Disziplinen der islamischen Theologie verknüpft, insbesondere mit der Koranexegese (tafsīr) und der islamischen Rechtswissenschaft (fiqh). Die Hadithe dienen als wichtige Ergänzung zur koranischen Offenbarung und stellen eine maßgebliche Quelle für die islamische Normenlehre und Rechtsprechung dar.
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Genese des Islams und Sīra
Die historische Kontextualisierung der Arabischen Halbinsel vor und während der Zeit des Propheten Muḥammad stellt einen wesentlichen Bestandteil der islamischen Textwissenschaften dar. Die Erforschung der sozialen, politischen und religiösen Gegebenheiten der Region vor dem Islam, die als ǧāhiliyya bekannt ist, bietet entscheidende Einblicke in die Entstehungsbedingungen des Islams und die Entwicklung seiner zentralen Texte. Die Rekonstruktion dieser vorislamischen Zeit gilt in der Forschung als ein bedeutendes Desiderat, da sie tiefere Einsichten in die kulturellen und gesellschaftlichen Transformationen ermöglicht, die mit dem Aufstieg des Islams einhergingen. Dank neuer archäologischer Funde und aktueller Forschungsergebnisse eröffnen sich gegenwärtig Chancen, die Epoche der ǧāhiliyya umfassender zu verstehen und neu zu bewerten. Diese Erkenntnisse sind unerlässlich, um die Bedeutung der islamischen Offenbarung in ihrem historischen Kontext vollständig würdigen zu können und die dynamischen Prozesse nachzuvollziehen, die die arabische Gesellschaft und ihre religiösen Vorstellungen vor und während der islamischen Offenbarungszeit prägten.
Die Prophetenbiografie (sīra) ist eine der bedeutendsten Disziplinen der islamischen Geisteswissenschaften und umfasst die detaillierte Darstellung des Lebens des Propheten Muḥammad. Sie beleuchtet seine Handlungen und Aussagen, die in der islamischen Theologie von normativer Bedeutung sind. Die sīra bietet zudem kontextuelle Hintergrundinformationen durch die Offenbarungsanlässe (asbāb al-nuzūl), die viele koranische Verse erklären. Ein weiterer zentraler Aspekt der sīra ist die Darstellung der Beziehungen des Propheten zu anderen religiösen Gemeinschaften, insbesondere zu Jüd*innen und Christ*innen. Diese Interaktionen sind entscheidend für das Verständnis der pluralistischen Dimensionen der frühen islamischen Gemeinschaft und ihrer theologischen Entwicklungen.
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Kalām und Aqīda
Der Kalām als Disziplin der islamischen Theologie beschäftigt sich intensiv mit der rationalen Durchdringung der Glaubensinhalte. Im Zentrum dieser Forschung steht die Frage, wie diese Glaubenssätze wie der Monotheismus (tawhīd), die göttliche Vorherbestimmung (qadar), die Prophetie (nubuwwa), die Eschatologie und die Auferstehung in Verbindung mit rationalen Überlegungen erklärt und reflektiert werden können.
Ein zentraler Bereich ist die mehrperspektivische Betrachtung der Glaubensgrundlagen der innermuslimischen Konfessionen. Die Auseinandersetzung mit diesen vielfältigen Denkrichtungen trägt dazu bei, ein umfassenderes Bild der islamischen Glaubenslehre zu entwickeln und ihre Anwendung in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten zu reflektieren. Die theologische Beschäftigung mit Aqīda und Kalām verbindet somit die tiefgehende Analyse der islamischen Glaubensgrundlagen mit einer rational-theologischen Reflexion.
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Usūl al-fiqh
Der Forschungsbereich uṣūl al-fiqh widmet sich der islamrechtswissenschaftlichen Tradition der muslimischen Gelehrsamkeit und befasst sich insbesondere mit den theoretischen und methodischen Grundlagen der Normableitung im islamischen Recht. Dieser Bereich untersucht die Entstehung und Entwicklung des islamischen Rechts unabhängig von rechtsschulgebundenen Ansätzen und setzt es in den historischen sowie gegenwärtigen Kontext. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Analyse rechtstheoretischer, rechtsmethodischer und rechtsphilosophischer Fragestellungen, die tief in der Tradition der uṣūl al-fiqh verankert sind. Diese theologische Disziplin setzt sich mit den Fragen auseinander, welche Quellen für die Ableitung von Normen verwendet werden, welche Normen daraus abgeleitet werden können, wie diese Normen methodisch erschlossen werden und wer die Befugnis zur Ableitung hat. Dabei wird deutlich, dass die uṣūl al-fiqh nicht nur im klassischen Rahmen relevant ist, sondern auch in Bezug auf zeitgenössische Herausforderungen im islamischen Recht von Bedeutung bleibt. Die Frage, wie islamische Normen in modernen Rechtsordnungen anwendbar sind, steht im Mittelpunkt dieser Untersuchungen, ohne dabei die klassischen Methoden zu vernachlässigen.
Die Erforschung der intradisziplinären Bezüge zeigt die enge Verbindung zwischen der uṣūl-Tradition und anderen Bereichen der islamischen Wissenschaften, wie der Koran- und Hadithwissenschaft. Rechtsmethodische Fragestellungen sind tief in der theologischen Reflexion über die Offenbarung und deren Auslegung verankert, was die Notwendigkeit einer interdisziplinären Herangehensweise verdeutlicht. Das islamische Recht wird in diesem Kontext nicht isoliert betrachtet, sondern in einem komplexen Netzwerk theologischer, juristischer und gesellschaftlicher Aspekte verankert.